F  R  E  I  S  C  H  W  I  M  M  E  R      

    

{ AUSSTELLUNGEN } PRESSE STATEMENT CVs KONTAKT  

 

 

LERNEN VON PJÖNGJANG | zurück zu Ausstellungen

 

Mit Kim Jong Il, Fabian Hesse, Robert Stark, Ulla von Brandenburg, Arno Brandlhuber, Martin Eberle, Stefan Schneider, Christian Posthofen
Projektfenster apollo13: Martin F. Spengler.

Kuratiert von Christian Hartard.

17. Juni – 24. Juli 2010, lothringer13_laden, München

__

Pressetext | Raumplan

__

Besprechungen:
Süddeutsche Zeitung, 23. Juni 2010
Signale der Präsenz im Stadtraum. Zur Ausstellung Lernen von Pjöngjang. Wilhelm Warning im Gespräch mit Christian Posthofen. Bayern 2 Kulturwelt vom 15. Juni 2010

__

ZUR AUSSTELLUNG LERNEN VON PJÖNGJANG

Pjöngjang – die nach außen weitgehend abgeschottete nordkoreanische Hauptstadt ist das hässliche Zerrbild der postmodernen Utopie: eine aus Versatzstücken der Weltarchitektur zusammengebastelte Stadt der Oberfläche, der Simulation, der Fassade. In Kim Jong Ils stalinistischem Unterdrückungssystem wird Architektur zur Kulisse eines Theaterstücks, das den einzelnen Menschen zum Statisten einer totalen Inszenierung degradiert: eine Freiheit der Formen ohne Freiheit des Individuums.

Pjöngjang freilich mag eines der bizarrsten, vielleicht auch eines der naivsten Beispiele sein für den Versuch, Architektur als Kontroll- und Erziehungsmittel zu verwenden – ein bloß exotischer Sonderfall ist die nordkoreanische Metropole indes nicht: sie ist gleichzeitig Chiffre für die versteckten Herrschafts- und Machtstrukturen des Städtebaus schlechthin. Denn jede Architektur ist Form, die formt.

Lernen von Pjöngjang präsentiert eine audiovisuelle Installation von Arno Brandlhuber, Martin Eberle, Stefan Schneider und Christian Posthofen, die Ausschnitte aus der Schrift Über die Baukunst des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Il mit Eindrücken aus der Lebenswirklichkeit des Landes konfrontiert. Fabian Hesse reagiert auf die Zumutung hohler Repräsentationsgesten mit einer bewusst vergänglichen, provisorischen Anti-Architektur, die der Dokumentation das räumliche Setting gibt. Ästhetische Gegenstrategien proben auch die Menschen in Ulla von Brandenburgs Singspiel: eingeschlossen in das Gehäuse von Le Corbusiers Villa Savoye, einer Ikone des Funktionalismus, setzen sie die Fragilität, Flüchtigkeit und Poesie der menschlichen Stimme gegen die emotionslose Nüchternheit und Kühle der Architektur. Ihr Gesang wird zum Exorzismus – und zum Versuch eines gemeinschaftsstiftenden Tuns, das aus isolierten Individuen ein soziales Ganzes schaffen soll. Die weißen Raumkörper Robert Starks schließlich sind als reine Objekte ebenso lesbar wie als abstrahierte Architekturmodelle zwischen Miniaturhaftigkeit und Monumentalität. In der ideologischen Uneindeutigkeit, mit der sie sich aus dem Fundus architektonischer Archetypen bedienen, stellen sie die Frage nach Schuld und Unschuld architektonischer Formen und nach den Möglichkeiten ihrer weltanschaulichen Aufladung und Umwertung.

Rahmenprogramm

Lernen von Pjöngjang? Zur Lesbarkeit der Raumproduktion in Nordkorea. Öffentliches Seminar in Zusammenarbeit mit der Kunstakademie Nürnberg // Lonely Planet Nordkorea. Screening von Willkommen in Nordkorea. Dokumentation von Peter Tetteroo und Raymond Feddema, 2001 // Bürokratie und Kult. Führung durch das NS-Parteizentrum am Königsplatz mit Dr. Iris Lauterbach // „Public Space open till 8 p.m.“ Martin Klamt über die Strategie, Räume ohne Türen zu schließen. // MACHT! Dr. Heinz Schütz über Stadt-Inszenierung von oben und künstlerische Anarchie von unten.

 

Photographie: Martin Eberle

KÜNSTLERISCHE UND DOKUMENTARISCHE BEITRÄGE

„Die Tatsache, dass in einem geschlossenen System wie dem nordkoreanischen die ideologische Wirkung von Architektur so augenfällig ist, wir selbst in Europa aber scheinbar in größtmöglicher Verschiedenheit zu Nordkorea leben, verleitet dazu, den ideologischen Aspekt von Architektur in der westlichen zeitgenössischen Architektur zu übersehen und auf historische Phänomene wie Nationalsozialismus, Stalinismus usw. oder Gebäudearten wie Sakralbauten oder Regierungsbauten zu reduzieren.“ Was die Beschäftigung mit den architektonischen Leitbildern und Direktiven des nordkoreanischen Regimes „gerade auch für unsere Sicht auf Architektur so lohnend“ macht, ist ihre „prinzipielle Anerkennung von Machteffekten im Zusammenhang von Architektur“ (Christian Posthofen). Die künstlerischen Beiträge zu Lernen von Pjöngjang werfen deshalb exemplarische Schlaglichter auf die grundlegende Beziehung des Menschen zur Architektur, die ihn umgibt oder ihm entgegentritt. In welches Verhältnis zum gebauten Raum setzt uns die Architektur, setzen wir uns selbst?

Der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il hat, glaubt man seinem Propaganda-Apparat, viele Talente: neben seiner Tätigkeit als „Geliebter Führer“ ist er unter anderem Mode-Ikone, bester Golfspieler der Welt, aber auch durch einschlägige Publikationen ausgewiesener Filmkenner, Blumenexperte und oberster Architekt seines Landes. Die audiovisuelle Dokumentation von Arno Brandlhuber und Stefan Schneider, die den Ausgangspunkt der Ausstellung bildet, verbindet Auszüge aus zwei Schriften Kim Jong Ils – den Traktaten Über die Baukunst und Kimilsungia – und konfrontiert sie mit der architektonischen Realität Pjöngjangs. Der erste Text schildert in aller Ungeschminktheit, wie die Architektur der Stadt vor den stalinistischen Propagandakarren gespannt wird. Zur Ehre der Machthaber hat alles gigantisch zu sein: die neonbeleuchteten Denkmäler, die überbreiten Magistralen und Aufmarschplätze, das höchste Hotel der Welt. Die Bilder freilich, die Brandlhuber und Schneider aus Pjöngjang mitbringen, zeigen ein absurdes Potemkinsches Dorf: die Straßen sind oft von allem Leben leergefegt, die Hotelpyramide liegt seit Jahren als Bauruine brach, der rationierte elektrische Strom reicht zwar zur Illuminierung der Monumente, nicht aber fürs tägliche Leben. Nichts hier „ist wirklich, alles ist Blendwerk. Kein architektonisches Verbrechen in diesem Land, das nicht von der Blüte der marxistisch-leninistischen Diktatur erzählen soll; und unweigerlich vom Gegenteil zeugt“ (Thomas Hummitzsch). Während Über die Baukunst die ideologische Funktionalisierung des Städtebaus rechtfertigen und theoretisch unterfüttern soll, beschreibt die Abhandlung Kimilsungia eine demgegenüber geradezu subtile, weiche Art der Repräsentation: nämlich die Omnipräsenz von Orchideen und Begonien, die den Staatschef und seinen Vater Kim Il Sung verkörpern. Der Personenkult funktioniert also nicht nur über das reale Führerbildnis, sondern auch über die florale Metapher. Beton und Botanik disziplinieren den öffentlichen Raum.

Arno Brandlhuber ist Architekt, Professor am Masterstudiengang Architektur und Stadtforschung der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und Mitinitiator der Reihe Akademie c/o Temporäre Kunsthalle, die sich seit 2008 in Vorträgen und Seminaren der Raumproduktion der Berliner Republik widmet. Martin Eberle ist Photograph. Von ihm erschienen u.a. die Bücher Pyongyang (2008) und Temporary Spaces (2001). Stefan Schneider ist Photograph und Musiker, Ex-Bassist der Elektro-Band Kreidler und aktuell aktiv bei To Rococo Rot und Mapstation. Christian Posthofen ist Theoretiker, Mitbegründer der Akademie c/o und Geschäftsführer der Buchhandlung Walther König in Berlin. Er lehrt am Masterstudiengang Architektur und Stadtforschung in Nürnberg. Kim Jong Il ist Diktator.

 

 

Fabian Hesse reagiert auf die Zumutung hohler Repräsentation mit einem bewusst vergänglichen, provisorischen Anti-Monument, das der Dokumentation von Brandlhuber und Schneider das räumliche Setting gibt. Ein frei von der Decke hängender Kartonkubus tarnt sich, von vorne gesehen, als massiver Teil der Raumarchitektur. Zur Seite hin aber strahlt er in giftiggelber Neonfarbe an die Galeriewände, stößt sich ab, wird zum Fremdkörper. Den Besucher, der die Projektion im Innern sehen möchte, nötigt er zum Kotau: ist der Kubus doch erhobenen Hauptes nicht zugänglich. Wer sich nicht beugt, bleibt ausgeschlossen; wer aber eintritt, tut das um den Preis einer Unterwerfungsgeste, die angesichts der materiellen Dürftigkeit von Hesses Pseudo-Architektur geradezu lächerlich erscheinen mag, den Besucher aber dennoch ganz real in die Knie zwingt.

Fabian Hesse (*Augsburg 1980) studiert seit 2004 bei Olaf Metzel an der Münchner Kunstakademie. Mitglied der forschungsgruppe_f (Ausstellung im Kunstraum München 2009), Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen, so Fancity 2008 (Shedhalle Zürich, 2008), Crossing Munich (Rathausgalerie München, 2009), Open City - Parallel Cases (4. Internationale Architekturbiennale Rotterdam, 2009/2010).

„Fabian Hesse nimmt minimale Veränderungen im Stadtgebiet vor mit umsonst und frei verfügbaren Materialien, die er danach wieder sich selbst überlässt. Eine Dokumentation des Geschehens verdichtet und verörtlicht er in einer Installation, für die er dieselben Parameter nutzt.“ (Georg Fischer zu Hesses Arbeit Brügge for free, 2008, im Forum+ des Groeningenmuseums Brügge).

 

 

Die neutral-weißen Objekte Robert Starks geben Rätsel auf: Ist das ein Triumphbogen aus dem Dritten Reich? Ein sozialistisches Kriegerdenkmal? Oder vielleicht doch einfach Minimal Art, an der jeder Versuch der inhaltlichen Deutung abperlt? Die Titel jedenfalls verraten nicht mehr als die Seriennummer und das Entstehungsjahr: 12A08 (2008) und IA2004 (2004). So bleiben die Raumkörper Starks als reine Objekte ebenso lesbar wie als abstrahierte Architekturmodelle, die zwischen Miniaturhaftigkeit und Monumentalität pendeln. In der ideologischen Uneindeutigkeit, mit der sie sich aus dem Fundus architektonischer Archetypen bedienen, stellen sie die Frage nach Schuld und Unschuld architektonischer Formen und nach den Möglichkeiten ihrer weltanschaulichen Aufladung und Umwertung.

Robert Stark (*Augsburg 1974) studierte 1998-2004 an der Münchner Kunstakademie bei Nikolaus Gerhart und Hermann Pitz, 2000 Studienaufenthalt in Helsinki (University of Art and Design und Academy of Arts). 2009 Kunstförderpreis der Stadt Augsburg. 2010 war er Stipendiat der Villa Concordia, Bamberg und Artist in Residence des Künstlerhauses NAIRS in Scuol, Graubünden. Ausstellungsbeteiligungen u.a. Dragged down into lowercase (Zentrum Paul Klee Bern, 2008), Die ersten Jahre der Professionalität 27 (Galerie der Künstler München, 2008), Die Gegenwart des Vergangenen – Strategien im Umgang mit sozialistischen Repräsentationsarchitektur (Forum für Wissenschaft und Kunst Leipzig, 2007), Schwarz Brot Gold (Kunstverein Oldenburg, 2005).

„Robert Stark schafft insbesondere Plastiken und Installationen, die sich auf architektonische Formen und Elemente beziehen. Dabei setzt er sich unter anderem mit der Geschichte der Architektur sowie ihrer Rolle in verschiedenen politischen Systemen auseinander.“ (villa-concordia.de)

 

 

Die Menschen in Ulla von Brandenburgs Video Singspiel (2009) schließlich stellen sich mit ästhetischen Gegenstrategien wider den Druck des architektonischen Prägestempels: eingeschlossen in das Gehäuse von Le Corbusiers Villa Savoye, einer Ikone des Funktionalismus, setzen sie die Fragilität, Flüchtigkeit und Poesie der menschlichen Stimme gegen die emotionslose Nüchternheit und Kühle der Architektur. Ihr Gesang wird zum Exorzismus – und zum Versuch eines gemeinschaftsstiftenden Tuns, das aus isolierten Individuen ein soziales Ganzes schaffen soll. Doch am Ende bleibt das Gefühl der Distanz, der Vereinzelung. Der humanistische Vorsatz, das Bauen an den Bedürfnissen des Menschen auszurichten, entlarvt sich als wohlfeile Parole; und mit dem Scheitern der urbanistischen Utopie scheitern auch die Anstrengungen, sich in der Hülle der Architektur dennoch heimatlich einzurichten.

Ulla von Brandenburg (*Karlsruhe 1974) studierte an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und an der Kunsthochschule Hamburg. Ausstellungsbeteiligungen u.a. Biennale Venedig 2009, Triennale Turin 2008, Triennale Yokohama 2008, Biennale Jerusalem 2008, The Wizard Of Oz (Wattis Institute for Contemorary Art San Francisco, 2008),The World As A Stage, (Tate Modern London, 2007). Einzelausstellungen u.a.: Plateau Paris (2009), Chisenhale Gallery London (2009), Irish Museum of Modern Art Dublin (2008), Kunstverein Düsseldorf (2008), Produzentengalerie Hamburg (2007).

„Ulla von Brandenburgs Filme, Papierarbeiten, Rauminstallationen und Performances operieren mit Posen und Gesten aus dem visuellen Fundus des Theaters, der Fotografie, des Zirkus und der Kunstgeschichte, die sie in ihren Arbeiten zu Bildern montiert und collagiert. Es geht dabei nicht um das historische Zitat als solches, sondern um gesellschaftliche Regelhaftigkeiten und Konstellationen, die diese immer auch als formalisiert eingefrorene und an ihrer Unbeweglichkeit scheiternde Formen erfahrbar machen“ (Pressetext zur Einzelausstellung in der Kunsthalle Zürich, 2006).

 

 

Parallel zur Ausstellung bespielte Martin F. Spengler das Projektfenster apollo13 mit dem Wohnturm (2010) aus der Reihe Neue Heimat.

Martin F. Spengler (*Köln 1974) studierte seit 2003 an der Kunsthochschule Bremen, 2006-2007 bei Manfred Pernice an der Wiener Kunstakademie, 2008-2009 bei Karin Kneffel an der Kunstakademie München (Meisterschüler). Ausstellungsbeteiligungen u.a. Optical Shift – Illusion und Täuschung (b-05 Kunst- und Kulturzentrum Montabaur, 2010), Die unsichtbare Hand (Städtische Galerie Delmenhorst, 2009), sweet dreams (Städtische Galerie Delmenhorst, 2008), Internationale Triennale für Zeitgenössische Kunst Prag (2008), Kunstsommer 2008 (Kunstverein Oberhausen, 2008), Am Ende Kunst (Dom St. Petri Bremen, 2006). Einzelausstellungen: Rauschen (rahncontemporary Zürich, 2010), Schnitte (Künstlerverein Malkasten Düsseldorf, 2008), Kartonagen (Kunstverein Achim, 2008).

Martin F. Spengler ist bekannt geworden durch ebenso filigrane wie oftmals raumgreifend dimensionierte Reliefs aus Wellpappe, die in billigem Material, aber nobilitiert durch puristische Farbgebung und handwerkliche Präzision die Ränder der Stadt in den Blick nehmen: die Fassaden des sozialen Wohnungsbaus, Trabantensiedlungen, Autobahnkleeblätter. Er zeigt und seziert Odnungsstrukturen, in denen sich das Individuelle im Massenhaften verliert und architektonische Formen, funktionale Apparaturen, aber auch einzelne Menschen sich im Ornament auflösen.